Freitag, 22. Februar 2019

Ein ganz normaler Tag im Deutsch LK

Es ist mal wieder soweit. Die Deutsch Hausaufgaben sind fällig. 
Noch nie hat etwas mehr an die Hungerspiele erinnert. Eine Gruppe von 13 Schülern nahmen teilweise nervös, genervt oder auch ganz ohne Emotionen ihre Stühle in die Hand und stellten sie in die Mitte des Klassenzimmers, um einen Kreis zu bilden. Hierbei kann man schon die ersten Strategien der Leute sehen, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatten. Sie ordnen sich entweder zum Schluss ein, um nur ganz wenig Platz im Kreis zu haben, oder sie ziehen den Stuhl etwas weiter nach hinten, um bloß nicht aufzufallen. Ein Gauß-Algorithmus wird durchgeführt, um die Folgende Frage zu beantworten: Wie setze ich mich am besten hin, um so wenig Platz wie möglich im Kreis zu beanspruchen? Umso weniger desto besser. Als alle saßen, holte der Deutschlehrer mit entschlossenen Schritten die Dreckschippe. Ein Schaudern fuhr den Schülern über den Rücken, als er sie, schadenfreudig grinsend, in die Mitte des Kreises auf den Boden legte. Die ersten Schüler versteckten sich unter ihren Stühlen.

Auf wem der Stiehl zeigt, muss vorlesen. 

Der Deutschlehrer gab der Schippe mit einem breiten Grinsen Anschwung, sie drehte sich sofort und erwählte erbarmungslos das erste Opfer. Die Schüler hielten augenblicklich die Luft an und beteten, während sich der Lehrer lässig zurücklehnte. Man hätte die Anspannung in der Luft fast schon greifen können.  

Die Schippe drehte sich mehrere Runden im Kreis und blieb schließlich deutlich vor jemanden stehen. Der Erwählte hatte die Hausaufgaben. Die Schüler applaudierten bewegt. So etwas kam selten vor, selbst der Lehrer nickte anerkennend. Der Schüler erhob sich und las seinen Text mit purer Eleganz vor. Jeder Schüler hing an seinen Lippen. Als der Text fertiggelesen war, verneigte sich der Schüler, ein Engels-Chor ertönte und er setzte sich wieder. Die anderen Schüler waren sprachlos, gaben sich aber trotzdem Mühe, den Text zu bewerten.
Der Nächste ist dran. Die Schippe bekommt wieder Anschwung. Die Schüler wirkten, immer noch verblüfft vom ersten Text, etwas gelassener und plauderten. „Ich hätte auch zuhause bleiben sollen.“ wurde von irgendwo her geflüstert. Jeder in der Runde hörte diesen Satz und die Angst wurde erneut entfacht. Jemand wurde erwählt.

Die Erwählte zögerte nicht, kreuztdie Beine entschlossen und schaute den Lehrer direkt in die Augen. „Ich hab’s nicht.“ Respekt kam in den anderen Schülern auf. Wie kann sie das nur so lässig sagen? Die Augen des Lehrers schossen plötzlich Laser in Richtung der Schülerin. Ohne sich einschüchtern zu lassen, erwiderte die Schülerin den Blick des Lehrers furchtlos. Alle hielten gespannt den Atem an, wer wohl gewinnen würde? Der Lehrer musterte die Schülerin von oben bis unten. Die Laser streiften ihre Haut und fügten ihr Brandwunden zu, doch sie ließ sich nichts anmerken und warf ihre Haare entschlossen in den Nacken. Jemand weinte. Nach einigen Minuten nickte der Lehrer. Sie hatte gewonnen. Der Respekt der Schüler ihr gegenüber vergrößerte sich und ein Sanitäter kam hereingestürmt, um ihre Wunden zu versorgen.

Die Schippe drehte sich wieder. Der Erwählte begann zögernd zu lesen. Er hatte die Hausaufgabe gestern noch schnell versucht zu machen, hat es aber nicht vollständig. Unter Panik las er vor.
Kalter Schweiß brach auf seiner Stirn aus, während er mit zittrigen Händen vorlas. Seine Pupillen weiteten sich, als er am Ende angekommen war. Er improvisierte den letzten Teil des Textes, während der Angstschweiß an seiner Stirn herablief. Scheinbar hatte niemand das bemerkt. Der Text war ein bisschen kurz wurde bemängelt. Der Sitznachbarn lehnte sich zum Erwählten rüber „Du hast es nicht zu Ende geschrieben, oder?“ der Erwählte starrte mit blanker Panik in das Gesicht seines Nachbarn „H-H-Hast du es etwa gemerkt?!“. Der Sitznachbar erwiderte sehr schnell „Beruhig dich, ich musste das auch schon oft machen, deswegen habe ich ein Gespür dafür. Du hast das aber gut hingekriegt, er hat es nicht gemerkt.“. Der Erwählte brach in Freudentränen aus und nahm eine Medaille entgegen. Angela Merkel kam ins Klassenzimmer und beglückwünschte ihn für seinen Auftritt.
Der Deutschlehrer stand auf und verteilte einen Stapel Sechsen.
Die Stunde war endlich vorbei.